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Wenn Liebe weh tut

Warum Narzissmus und Fawning keine Charakterfehler sind, sondern Schutzstrategien – und wie sie toxische Beziehungen formen


Wenn Liebe weh tut, kommen viele Menschen mit einer leisen, quälenden Frage zu mir ins Coaching: Was stimmt eigentlich nicht mit mir?


Sie blicken auf eine Reihe schmerzhafter Beziehungen zurück, erkennen immer wieder ähnliche Dynamiken – emotionale Abhängigkeit, Grenzverletzungen, Manipulation, Selbstaufgabe – und fühlen sich zugleich schuldig, zu empfindlich oder „falsch“. Häufig tauchen in diesem Zusammenhang zwei Begriffe auf, die viel erklären können und gleichzeitig oft missverstanden werden: Narzissmus und Fawning.


Dieser Artikel lädt dich ein, beide Phänomene differenziert zu betrachten – nicht, um Schuldige zu suchen, sondern um innere Logiken besser zu verstehen. Denn hinter beiden stehen Schutzstrategien, die einmal sinnvoll waren, heute aber Beziehungen massiv beeinflussen können. Und oft verwechselt werden, da sie sich teils ähnlich anfühlen.


Narzissmus – Schutz durch Selbstüberhöhung

Narzissmus wird im Alltag oft pauschal mit Egoismus, Kälte oder Boshaftigkeit gleichgesetzt. Diese Verkürzung hilft niemandem – vor allem nicht denen, die selbst narzisstische Muster entwickelt haben oder mit ihnen in Beziehung stehen.


Psychologisch betrachtet ist Narzissmus keine Charakterfrage, sondern eine Bindungs- und Schutzstrategie. Im Kern geht es um einen tief sitzenden Mangel an sicherer Selbstanbindung. Das innere Erleben ist häufig geprägt von Scham, innerer Leere und der Angst, bedeutungslos oder nicht liebenswert zu sein.


Um dieses fragile innere Gleichgewicht zu stabilisieren, wird nach außen etwas anderes aufgebaut:


  • ein starkes Selbstbild

  • Kontrolle über Nähe und Distanz

  • der Wunsch nach Bewunderung oder besonderem Status

  • geringe Toleranz für Kritik oder Zurückweisung


Das unbewusste Ziel

Das Ziel narzisstischer Verhaltensmuster ist nicht Nähe, sondern Selbststabilisierung. Beziehungspartner werden – meist unbewusst – genutzt, um das eigene Selbstwertgefühl zu regulieren. Nähe ist willkommen, solange sie bestätigend wirkt. Wird sie fordernd, verletzlich oder gleichwertig, entsteht Bedrohung. Und wird dann meistens bekämpft.


Auswirkungen auf Beziehungen

  • Idealisierung zu Beginn, später Entwertung

  • emotionale Distanz bei Konflikten

  • Macht- und Kontrollspiele

  • geringe echte Empathie bei gleichzeitiger Erwartung von Verständnis


Wichtig: Auch Menschen mit narzisstischen Anteilen leiden. Sie erleben Beziehungen oft als anstrengend, enttäuschend oder instabil – ohne wirklich zu verstehen, warum. Die Selbstreflexionsfähigkeit ist durch mangelnde Empathie kaum vorhanden.


Fawning – Schutz durch Anpassung

Fawning ist eine weniger bekannte, aber extrem verbreitete traumabasierte Überlebensreaktion. Neben Kampf, Flucht und Erstarren beschreibt Fawning das Muster, Sicherheit durch Gefallen, Anpassung und Selbstverleugnung herzustellen. Oft wurden sie von Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstrukturen maßgeblich geprägt.


Menschen mit starkem Fawning haben früh gelernt:


  • Meine Bedürfnisse sind gefährlich oder unwichtig

  • Harmonie sichert mein Überleben

  • Wenn ich mich anpasse, werde ich nicht verlassen


Typische Verhaltensmuster

  • übermäßige Empathie für andere

  • Schwierigkeiten, Nein zu sagen

  • Schuldgefühle bei Abgrenzung

  • schnelle Selbstzweifel

  • Verantwortungsübernahme für Gefühle anderer


Das unbewusste Ziel

Das Ziel von Fawning ist Bindungssicherung um jeden Preis. Der eigene innere Kontakt wird geopfert, um Beziehung aufrechtzuerhalten. Nähe entsteht nicht durch Echtheit, sondern durch Funktionieren. Die Bedürfnisse anderer werden über die eigenen gestellt.


Auswirkungen auf Beziehungen

  • Selbstverlust in Partnerschaft

  • emotionale Erschöpfung

  • Anziehung zu dominanten oder selbstzentrierten Partnern

  • das Gefühl, unsichtbar zu sein


Fawning fühlt sich von innen oft an wie: „Ich bin zu viel – und gleichzeitig nie genug.“


Warum sich Narzissmus und Fawning so oft finden

Diese beiden Muster ziehen sich nicht zufällig an. Sie greifen ineinander wie zwei Puzzleteile mit gegensätzlicher, aber kompatibler Logik.


  • Der eine reguliert sich über Kontrolle und Bestätigung – und hält die anderen für schuldig.

  • Der andere über Anpassung und Selbstaufgabe – und glaubt, nicht gut genug zu sein.


Was zunächst wie Ergänzung wirkt, wird mit der Zeit toxisch. Der narzisstische Anteil bekommt Zufuhr, der fawnende Anteil verliert sich immer mehr selbst. Beide bleiben in alten Überlebensstrategien gefangen – und beide verlieren echte Begegnung im Moment.


Das Tragische daran: Keiner von beiden ist „schuld“. Beide handeln aus unbewussten Schutzprogrammen, die früher einmal notwendig waren, aber heute Kontakt verhindern.


Die entscheidende Frage ist nicht: Wer ist der Narzisst?

Die entscheidende Frage lautet:

Welche Schutzstrategie steuert mein Bindungsverhalten – und wovor schützt sie mich eigentlich?

Viele Menschen, die immer wieder in toxischen Beziehungen landen, tragen tiefe Scham in sich. Sie glauben, zu schwach, zu bedürftig oder zu kaputt zu sein. In Wahrheit sind sie hochangepasst, hochsensibel und haben früh gelernt, Beziehung mit anderen über den Kontakt mit sich selbst zu stellen.


Heilung beginnt nicht mit Schuldzuweisung, sondern mit Verstehen. Von anderen und sich selbst.


Veränderung bedeutet nicht, jemand anders zu werden

Weder narzisstische noch fawnende Muster lassen sich durch reine Einsicht oder Willenskraft auflösen. Sie sitzen tiefer – im Nervensystem, im Bindungsgedächtnis, im Körper. Dazu ist eine langfristige Transformation und kontinuierliche Arbeit nötig.


Veränderung bedeutet deshalb:


  • den eigenen inneren Kontakt wieder aufzubauen

  • Grenzen nicht als Gefahr, sondern als Beziehungskompetenz zu erleben

  • Sicherheit nicht mehr im Außen zu suchen

  • neue Beziehungserfahrungen im Hier und Jetzt zu machen


Das ist kein schneller Prozess. Aber er ist möglich. Dafür braucht es Traumatherapie.


Ein leiser Hinweis zum Schluss

In meiner traumasensiblen Arbeit begleite ich Menschen genau auf diesem Weg: raus aus der Selbstverurteilung, hinein in die Selbstbegegnung. In Fühlräumen, der Selbstbegegnungsarbeit, in körper- und bindungsorientierten Interventionen oder im Langzeitcoaching entsteht ein sicherer Raum, in dem alte Schutzstrategien nicht bekämpft, sondern verstanden, integriert und behutsam transformiert werden.


Wenn du dich in diesem Text wiedergefunden hast, dann ist das kein Zufall. Es ist ein Hinweis darauf, dass dein System nach etwas Neuem sucht – nach Beziehung ohne Selbstverlust.


Du bist nicht kaputt. Du musst nicht repariert werden. Aber du darfst dich wieder finden.


Damit Liebe nicht mehr weh tut.

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