KI als Spiegel
- Manuel Schönthaler

- 31. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Aug.
Eine Aufstellungsarbeit über Projektion, Kontrolle und kindliche Bedürfnisse
Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Für die einen verheißt sie Fortschritt, Effizienz und Zukunftssicherheit – für andere weckt sie Ängste vor Kontrollverlust, Entfremdung oder gar Auslöschung. Doch selten geht es bei diesen Haltungen wirklich um Technik. Viel öfter geht es um uns selbst – um unsere unbewussten Anteile, unsere Traumageschichte, unsere alten Überlebensstrategien.
In einer öffentlichen Themenaufstellung habe ich gemeinsam mit einer Gruppe genau diesen Zusammenhang erforscht. Der Ausgangspunkt war eine Diskussion in einer Traumaheilungsgruppe, in der sehr deutlich wurde, wie stark KI zur kollektiven Projektionsfläche geworden ist.
Die Entscheidung, eine Aufstellung zu diesem Thema zu machen, war bewusst. Denn in der Arbeit mit Trauma ist klar: Was wir im Außen ablehnen oder idealisieren, ist oft eng verbunden mit unverarbeiteten inneren Anteilen. Und genau dort setzen wir an.
KI als Projektionsfläche: Kontrolle, Misstrauen, Kompensation
Zu Beginn der Arbeit brachten die Teilnehmer:innen ihre persönlichen Assoziationen mit KI ein. Schnell kristallisierten sich Themen wie Kontrolle, Bedrohung, Gefühllosigkeit, Kompensation und Misstrauen heraus. Begriffe, die nicht nur abstrakt sind, sondern tief mit individuellen Erlebnissen und Beziehungsmustern verknüpft sind.
Im Verlauf der Resonanzarbeit spitzten sich die Spannungen zu – vor allem zwischen einzelnen Teilnehmer:innen, die sehr gegensätzliche Haltungen vertraten. Besonders deutlich wurde dies an einem Teilnehmer, der starke Ängste vor Kontrollverlust äußerte, sich gleichzeitig aber sehr kontrollierend und steuernd in die Gruppe einbrachte. Die Dynamik spiegelte exakt das Thema, das wir im Raum hatten: die Illusion von Kontrolle als Schutz vor Ohnmacht.
Als die Spannung den Raum zu dominieren begann, war klar: Hier zeigten sich nicht bloß Meinungsverschiedenheiten, sondern tiefliegende, emotional aufgeladene Projektionen – gespeist aus früheren Bindungserfahrungen, oft traumatisch geprägt.
Gefühllosigkeit als Strategie – und Tor zur Tiefe
Ein zentrales Thema der Arbeit war die Gefühllosigkeit. Einige nahmen sie als Bedrohung wahr, andere als Schutz oder Ruhepol. Was sich zeigte: Für viele war Gefühllosigkeit kein Mangel, sondern eine Überlebensstrategie. Ein Ort, an dem nichts mehr weh tut – aber eben auch nichts mehr lebendig ist.
Gerade in der Auseinandersetzung mit KI – einem “System”, das keine Gefühle hat – werden diese inneren Zustände aktiviert. Wir konfrontieren das, was wir in uns selbst nicht fühlen wollen, in der Technologie. Und verlieren dabei aus dem Blick, dass wir es selbst sind, die die Bedeutung erschaffen.
Vom Konflikt zur Verbindung: Die “Ki”-Übung
Nachdem sich die Gruppe aus der Konfrontation zurückgezogen hatte, entstand ein neuer Raum: stiller, ehrlicher, verbundener. In einer abschließenden Verwandlung – aus anfangs „KI“ wurde "Freude" – ging es nicht mehr um Künstliche Intelligenz, sondern um das kindliche innere Bedürfnis nach Freude, Spiel und Kontakt.
Was wünschst du dir wirklich?
Was fehlt dir, was du versuchst, im Außen – vielleicht sogar in einer Technologie wie KI – zu kompensieren?
Die Antworten darauf aus dieser Arbeit waren berührend:
Mehr Sicherheit.
Mehr Nähe.
Mehr Freiheit.
Gesehen werden.
Ein guter Vater.
Ein Platz, an dem ich sein darf, wie ich bin.
In diesem Moment wurde klar, worum es wirklich geht. KI ist nicht das Problem. KI ist nur ein Container. Ein Symbol. Eine Fläche, auf die wir projizieren, was wir in uns selbst nicht halten können. Und genau hier liegt die Chance: Wenn wir den Spiegel erkennen, können wir uns selbst darin begegnen.
Warum diese Arbeit relevant ist
Diese Aufstellung hat gezeigt: Die Auseinandersetzung mit KI ist eine Einladung zur Selbstbegegnung – nicht auf kognitiver Ebene, sondern auf emotionaler und körperlich gespürter Ebene.
Denn solange wir unsere eigenen Anteile nicht integrieren, werden wir sie weiter im Außen bekämpfen oder idealisieren. In diesem Fall: in einer Technologie, die nichts anderes tut, als auf unsere Eingaben zu reagieren.
Diese Arbeit setzt dort an, wo es weh tut – und wo Heilung beginnt:
bei den Projektionen, die wir erkennen
bei den Mustern, die wir durchschauen
bei den Gefühlen, die wir endlich zulassen
Was bleibt?
Die TeilnehmerInnen dieser Arbeit haben tiefe Einblicke in ihre eigenen Dynamiken gewonnen. Die Gruppenerfahrung war nicht immer angenehm, aber sehr heilsam, da wir hier ganz bewusst mit Projektionen arbeiten, die uns sonst im Alltag begegnen, wo wir sie auf andere Menschen übertragen und dort überhöhen, abwerten oder verdrängen. Viele haben daraus wertvolle neue Perspektiven gewonnen – auf sich selbst, auf ihre Bindungsmuster, auf das, was sie unbewusst mit KI verbinden. Die KI als Spiegel.
Diese Arbeit geht weiter.
Nicht nur in weiteren Aufstellungen, sondern im Alltag. Im Umgang mit Technik. Im Umgang mit Nähe. Mit Macht. Mit Angst. Mit dem Wunsch, sicher zu sein – und dabei lebendig zu bleiben.
📺 Die Aufzeichnung dieser Arbeit findest du hier auf meinem YouTube-Kanal.
📩 Wer Interesse hat, an einer ähnlichen Arbeit teilzunehmen oder sich vertieft mit den Themen Trauma, Projektion und KI auseinandersetzen möchte, kann sich gerne direkt bei mir melden. Alle weiteren Aufstellungstermine findest du auf meiner Webseite.




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