Wenn Männlichkeit Angst macht
- Manuel Schönthaler

- vor 1 Tag
- 4 Min. Lesezeit
Wie Gewalt, Übergriffigkeit und emotionale Verwirrung zwischen Männern über Generationen weiterwirken

Viele Männer tragen eine stille Last. Sie sprechen selten darüber, oft nicht einmal mit sich selbst. Es ist die Last einer Männlichkeit, die nie sicher war. Einer Männlichkeit, die nicht getragen, sondern gefürchtet wurde. Oder einer, die nur über Macht, Härte und Dominanz erfahrbar war.
Vielleicht kennst du das:
Du fühlst dich unwohl im Kontakt mit anderen Männern.
Du gehst Konkurrenz aus dem Weg – oder gerätst sofort in einen inneren Kampf.
Du hast Angst, schwach zu wirken, oder Angst, selbst gefährlich zu sein.
Du spürst sexuelle Anziehung zu Männern und weißt nicht, woher sie kommt.
Oder du merkst, dass du deine Partnerin kontrollierst, dominierst oder emotional unter Druck setzt – obwohl du das eigentlich nicht willst.
Das alles hat Gründe. Und sie liegen oft weiter zurück, als du denkst.
Wenn der Vater keine sichere Figur war
Für viele Männer beginnt die innere Verwirrung dort, wo der Vater keine Quelle von Sicherheit, Orientierung und Schutz war. Stattdessen war er:
emotional kalt oder nicht verfügbar
gewalttätig, beschämend oder kontrollierend
selbst traumatisiert, etwa durch Krieg, Gewalt oder Tätererfahrungen
ideologisch geprägt von Unterdrückung, Frauenverachtung oder Machtdenken
Ein Junge lernt in solchen Konstellationen nicht: So fühlt sich gesunde Männlichkeit an.
Er lernt: Männlichkeit ist gefährlich. Oder: Männlichkeit bedeutet, andere zu unterwerfen.
Beides hinterlässt Spuren.
Manche Männer ziehen sich innerlich von allem Männlichen zurück. Andere identifizieren sich unbewusst mit dem Täter, weil das Überleben sich so sicherer anfühlte als Ohnmacht.
Täterintrojekte: wenn Gewalt nach innen wandert
Ein zentrales, oft übersehenes Phänomen sind sogenannte Täterintrojekte. Das sind verinnerlichte Anteile dominanter, gewalttätiger oder übergriffiger Bezugspersonen. Sie leben im Inneren weiter, auch wenn der äußere Täter längst nicht mehr präsent ist.
Das zeigt sich zum Beispiel so:
eine innere Stimme, die dich hart antreibt oder abwertet
Impulse, andere zu kontrollieren oder emotional zu überfahren
sexuelle Fantasien, in denen Macht, Zwang oder Erniedrigung eine Rolle spielen
Scham oder Angst vor der eigenen Aggression
Viele Männer fürchten diese Anteile und bekämpfen sie. Doch sie sind nicht „böse“. Sie sind Überlebensstrategien, die einst geholfen haben, in einer gefährlichen Umgebung zu bestehen.
Angst vor Männern – und gleichzeitige Anziehung
Ein weiterer häufiger Widerspruch: Angst vor Männern und gleichzeitige starke Anziehung zu ihnen.
Das ist kein Zufall.
Wenn der Vater oder andere männliche Bezugspersonen bedrohlich, unberechenbar oder übergriffig waren, entsteht oft ein tiefer Bindungshunger nach männlicher Nähe, Schutz und Spiegelung – genau dort, wo sie gefehlt hat.
Sexuelle Anziehung kann dann der einzige Weg sein, Nähe zu Männern überhaupt zuzulassen. Nicht, weil etwas „falsch orientiert“ ist, sondern weil Bindung und Sexualität im Nervensystem miteinander verschmolzen sind.
Für manche Männer ist das verwirrend. Für andere beschämend.
In Wahrheit ist es ein verständlicher Versuch, eine alte Lücke zu schließen.
Wenn Frauen die Täterinnen waren – oder beides
Nicht wenige Männer haben Gewalt, Übergriffigkeit oder emotionale Manipulation durch Mütter oder andere Frauen erlebt. Auch das hinterlässt tiefe Spuren:
Angst vor Nähe zu Frauen
Misstrauen gegenüber weiblicher Macht
Schwierigkeiten, sich hinzugeben
oder der Versuch, Kontrolle zurückzugewinnen, indem man selbst dominiert
Besonders komplex wird es, wenn Gewalt von beiden Seiten kam: ein gewalttätiger Vater und eine emotional missbrauchende Mutter. In solchen Systemen lernt ein Junge:
Es gibt keinen sicheren Ort.
Identität entwickelt sich dann oft fragmentiert, angepasst, innerlich gespalten.
Weitere typische Folgen früher männlicher Traumatisierung
Viele Männer erkennen sich erst spät in diesen Mustern wieder:
Probleme, Grenzen zu setzen oder zu spüren
Dissoziation vom eigenen Körper
Schwierigkeiten mit Erektion oder Lust
ein starkes Funktionieren, aber wenig inneren Kontakt
Sucht, Pornografie oder riskantes Sexualverhalten
tiefe Scham über eigene Bedürfnisse
All das sind keine Charakterfehler. Es sind Spuren eines Nervensystems, das zu früh zu viel tragen musste.
Gesunde Männlichkeit entsteht nicht durch Härte, sondern durch Sicherheit
Gesunde Männlichkeit ist nicht Dominanz. Sie ist auch nicht Rückzug oder Selbstverleugnung.
Gesunde Männlichkeit entsteht dort, wo ein Mann sich selbst spürt, seine Kraft halten kann, ohne sie gegen andere zu richten, und wo Aggression nicht zerstört, sondern schützt.
Das lässt sich lernen – auch später im Leben.
Heilung heißt: dir selbst begegnen
Der Weg aus diesen Mustern führt nicht über Schuld oder Analyse allein, sondern über Selbstbegegnung. Über das langsame Wiederfinden einer eigenen, nicht fremdbestimmten Identität.
In meiner Heilarbeit begleite ich Männer dabei,
Täterintrojekte zu erkennen und zu entlarven
Verwirrungen im inneren System zu klären
abgespaltene Anteile wieder zu integrieren
und eine tragfähige, sichere Männlichkeit zu entwickeln
Nicht durch Druck, sondern durch Kontakt.
Nicht durch Ideale, sondern durch Verkörperung.
Du bist nicht falsch – du bist geprägt
Wenn du dich in diesem Text wiederfindest, dann nicht, weil mit dir etwas nicht stimmt, sondern weil deine Geschichte Spuren hinterlassen hat. Das Entscheidende ist:
Diese Spuren sind veränderbar.
Du musst diesen Weg nicht allein gehen.
Und du musst niemand anders werden, als du bist.
Du darfst werden, wer du eigentlich schon immer warst – unter all den Schutzschichten.
Wenn du spürst, dass es Zeit ist, dich dir selbst zuzuwenden, dann ist Unterstützung kein Zeichen von Schwäche, sondern von innerer Reife. Hier kannst du mich online buchen.
Auch wenn Männlichkeit Angst macht.



