Abgrenzung lernen
- Manuel Schönthaler

- 4. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Wie Selbstbegegnung, Anteilearbeit und traumasensible Gruppenprozesse helfen können, sich aus toxischen Beziehungsmustern zu befreien
In unserer jüngsten Aufstellungssitzung durfte ich Nina in einer tiefgreifenden Selbstbegegnung begleiten. Ihr Anliegen war klar formuliert: „Ich kann mich abgrenzen.“ – ein Satz, der vielen Menschen mit Bindungs- oder Entwicklungstrauma aus dem Herzen spricht. Denn: Wer in einem dysfunktionalen Familiensystem aufgewachsen ist, hat oft früh gelernt, sich zu verbiegen, sich selbst zu verlassen – und andere zu retten, statt auf sich selbst zu achten.
Diese Arbeit zeigt eindrucksvoll, wie Selbstbegegnung in Verbindung mit traumainformierter Aufstellungsarbeit dabei helfen kann, Überlebensstrategien zu erkennen, sie zu entkoppeln – und erste Schritte in Richtung echter Selbstfürsorge zu gehen.
Die Methodik: Anteile, Beziehung und Verkörperung
Statt mit klassischen Figuren oder nur „Stellvertretern“ zu arbeiten, integrieren wir in unseren Gruppenprozessen die traumasensible Praxis der Selbstbegegnung mit psychologischen Anteilen. Nina stellte sich drei zentrale innere Kräfte zur Seite:
„Ich“ – ihre zentrale Identität, das Wesen, das fühlt, reflektiert, erlebt.
„Abgrenzen“ – die Fähigkeit, sich emotional, körperlich und energetisch zu schützen.
„Kann“ – der Anteil, der Handlungskraft und Selbstwirksamkeit verkörpert.
Diese Rollen wurden von anderen Gruppenmitgliedern eingenommen, wodurch Nina sich selbst in Beziehung zu ihren inneren Strukturen erleben konnte – ein methodisch fundierter Zugang, um projekthafte Bindungen zu entwirren und unbewusste Dynamiken zu externalisieren.
Bindungstrauma zeigt sich in Beziehung
Wie bei vielen Betroffenen von emotionalem Missbrauch oder Rollenumkehr in der Kindheit zeigte sich auch bei Nina eine starke Parentifizierung: das Gefühl, für die Mutter verantwortlich zu sein, ihre Emotionen regulieren zu müssen – auf Kosten der eigenen Identität.
Im Verlauf der Sitzung begegnete Nina innerlich ihrer Mutter, ihrem Vater, der Oma – und vor allem sich selbst. Besonders bewegend war der Moment, in dem sie klar wurde:
„Ich habe mein Ich für die Verbindung zu Mama geopfert.“
Diese Erkenntnis ist zentral für viele, die sich aus toxischen Beziehungsmustern lösen wollen. Denn: Wer früh gelernt hat, sich aufzugeben, um geliebt zu werden, hat oft keine Vorstellung davon, wie gesunde Abgrenzung aussieht, ohne dabei Schuld oder Scham zu empfinden.
Die Rolle der Gruppe: Sicherer Raum für Reinszenierung
In einer traumasensiblen Gruppe können alte Bindungserfahrungen in einem geschützten Rahmen neu erlebt und korrigiert werden. Der Raum wird zum Resonanzfeld, in dem emotionale Übertragungen bewusst gemacht, reflektiert und gehalten werden.
So wurden auch intensive Konflikte mit der Mutter stellvertretend durchgespielt – inklusive Loyalitätskonflikten, emotionaler Schuld, dem Bedürfnis nach Rückzug und Abgrenzung. Die Gruppe übernahm dabei nicht nur Rollen, sondern half auch bei der Integration und der Rückverwandlung in die eigene Identität am Ende des Abends.
Warum ist das traumasensibel?
Viele klassische Aufstellungsformate arbeiten symptomorientiert oder konfrontativ. In unserer Arbeit geht es jedoch nicht um „Lösung“ im herkömmlichen Sinne, sondern um Beziehung, um Fühlen, um Verbindung mit dem inneren Kind – und vor allem um das Wiederfinden des eigenen Ichs.
Abgrenzung bedeutet in einem traumasensiblen Kontext nicht Rückzug oder Isolation, sondern die Fähigkeit,
bei sich zu bleiben,
sich selbst wahrzunehmen,
und Nein zu sagen, ohne sich dadurch schuldig zu fühlen.
Fazit
Diese Selbstbegegnung von Nina war ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie tiefgreifend und transformierend traumasensible Aufstellungsarbeit sein kann – wenn sie in einem sicheren Raum, mit klaren Grenzen und einem verstehenden Blick auf Überlebensstrategien stattfindet. Diese werden i.d.R. nicht aufgezeichnet und finden in geschützten privaten Räumen statt, wir haben als Kollegen eine Kooperation zur Öffentlichkeitsarbeit vereinbart.
Denn es braucht Mut, sich mit den eigenen Anteilen zu zeigen.
Es braucht Halt, um sich aus toxischen Mustern zu lösen.
Und es braucht Begleitung, um Schritt für Schritt wieder bei sich selbst anzukommen.
Wenn du selbst merkst, dass dich diese Themen bewegen:
Komm gerne in unsere nächsten Fühlräume (derzeit gratis jeden Montag um 20 Uhr MESZ auf ZOOM) oder zu den Aufstellungsterminen (i.d.R. jeden Donnerstagabend).
Nimm Kontakt mit mir auf, wenn du Fragen zu deinem eigenen Prozess hast oder buche dir direkt eine ICH-Beratung zur Selbstbegegnungsarbeit.
Du bist nicht allein – und du darfst deinen Weg in deinem Tempo gehen. Und Abgrenzung lernen.
Hier dazu noch etwas aus meinem musikalischen Universum für deine emotionale Integration (am besten mit guten Stereokopfhörern genießen und entspannt zurücklehnen):




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