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AutorenbildManuel Schönthaler

Bitte hilf mir - nicht?!

Aktualisiert: vor 5 Tagen

Warum Menschen Hilfe ablehnen, wenn sie sie am dringendsten brauchen – und wie man diesen Teufelskreis durchbricht
Frau streckt Hand aus

Es ist ein paradoxes Verhalten, das viele von uns kennen: Menschen bitten um Hilfe, zeigen verzweifelt, dass sie Unterstützung brauchen – und lehnen sie dann ab, sobald sie greifbar ist. Besonders auffällig ist dieses Muster, wenn es um Hilfe geht, die mit einem finanziellen Engagement, echter Veränderung oder aktiver Umsetzung verbunden ist. Warum passiert das? Und vor allem: Wie können wir aus diesem Kreislauf ausbrechen? Dieser Artikel beleuchtet die psychologischen und emotionalen Hintergründe dieses Phänomens und gibt Hinweise, wie man es überwinden kann. Bitte hilf mir - nicht?!


Das Dilemma: Hilfe erbitten, aber nicht annehmen


Die Entscheidung, um Hilfe zu bitten, ist oft ein Akt der Verzweiflung, der Schwäche, aber auch des Mutes. Doch wenn die Hilfe angeboten wird – sei es in Form von finanzieller Unterstützung, konkreten Ratschlägen oder einem Umsetzungsplan – scheinen viele Menschen zurückzuschrecken. Statt die Hand zu ergreifen, die ihnen gereicht wird, ziehen sie sich zurück oder erfinden Gründe, warum die angebotene Lösung „doch nicht das Richtige“ sei.


Oberflächlich betrachtet mag dies widersprüchlich erscheinen. Doch unter der Oberfläche stecken oft tiefe emotionale und psychologische Wurzeln, die dieses Verhalten erklären können.


1. Die Rolle von erlernter Hilflosigkeit


Die Theorie der erlernten Hilflosigkeit (Martin Seligman) beschreibt den Zustand, in dem Menschen glauben, dass sie keinen Einfluss auf ihre Situation haben – selbst wenn dies nicht der Realität entspricht. Diese Überzeugung entsteht oft durch wiederholte negative Erfahrungen, bei denen sie tatsächlich machtlos waren.


Wenn Hilfe angeboten wird, könnte dies das Weltbild der Betroffenen infrage stellen: „Was, wenn die Lösung tatsächlich funktioniert? Was, wenn ich jetzt Verantwortung übernehmen muss?“ Die Aussicht, aktiv werden zu müssen, kann überwältigend wirken, weil sie das Gefühl eigener Hilflosigkeit negiert – eine Identität, die für viele Sicherheit bietet.


2. Krankheitsgewinn und die Opferrolle


Ein weiterer Aspekt ist der Krankheitsgewinn, der oft mit der Opferrolle verbunden ist. Menschen, die sich in ihrer Rolle als „Opfer“ eingerichtet haben, können daraus unbewusst Vorteile ziehen. Diese Vorteile können Aufmerksamkeit, Mitgefühl oder die Vermeidung von Verantwortung sein. Hilfe anzunehmen würde bedeuten, diese Vorteile aufzugeben – und damit auch das Sicherheitsnetz, das sie bietet.


Ein Beispiel: jemand, der in finanziellen Schwierigkeiten steckt, könnte die notwendige Hilfe ablehnen, weil er insgeheim Angst hat, nicht mehr auf die Unterstützung seiner Freunde oder Familie zählen zu können, wenn er „funktioniert“.


3. Täterintrojekte und Bindungstrauma


Menschen mit einem Bindungstrauma oder Täterintrojekten (also verinnerlichten negativen Stimmen aus ihrer Kindheit - siehe Podcastfolge) haben oft gelernt, dass Hilfe mit Bedingungen oder Schmerz verbunden ist. Wenn Eltern in der Kindheit ihre Fürsorge an Bedingungen knüpften oder Hilfe sogar als Machtinstrument missbrauchten, entsteht eine tiefe Ambivalenz gegenüber Hilfe: „Kann ich der Person trauen? Wird die Hilfe später gegen mich verwendet?“


Dieses innere Misstrauen sorgt dafür, dass sie Hilfe eher ablehnen, um vermeintliche Abhängigkeit und Verletzungen zu vermeiden.


4. Energielosigkeit und Depression


Die Annahme von Hilfe erfordert Energie. Besonders bei Menschen, die an Depressionen leiden, fehlt diese oft völlig. Die depressive Schwere, das Gefühl, ungewollt oder „zu viel“ zu sein, und die Überforderung durch scheinbar einfache Aufgaben können dazu führen, dass selbst gut gemeinte Hilfe unerreichbar erscheint.


Hier tritt ein Teufelskreis auf: Hilfe würde das Problem lösen, aber die Umsetzung der Hilfe fühlt sich wie ein unüberwindbarer Berg an.


5. Das Trauma der Identität: „Ich bin falsch, ich bin zu viel“


Trauma kann die Identität eines Menschen tief prägen. Wenn jemand gelernt hat, dass er „falsch“, „zu viel“ oder „eine Last“ ist, fällt es schwer, Hilfe anzunehmen. Denn Hilfe zu akzeptieren würde bedeuten, dass man sich als wertvoll und unterstützungswürdig ansehen müsste – ein Konzept, das für viele mit Traumata behaftete Menschen unvorstellbar ist, gerade wenn sie ungewollte Kinder waren und deshalb von Anfang an nicht die Liebe erfahren haben, die sie wirklich gebraucht hätten.


Wie lässt sich der Kreislauf durchbrechen?


Das Ablehnen von Hilfe ist tief in emotionalen Mustern verwurzelt. Dennoch gibt es Wege, diesen Kreislauf zu überwinden:


1. Selbstmitgefühl kultivieren


Ein wichtiger Schritt ist es, sich selbst mit Mitgefühl zu begegnen. Das bedeutet, die eigenen Ängste und Widerstände anzuerkennen, ohne sich dafür zu verurteilen. Selbstmitgefühl kann helfen, die innere Stimme, die sagt „Ich bin nicht genug“, zu beruhigen.


2. Sicherheit und Vertrauen schaffen


Hilfe anzunehmen, erfordert Vertrauen. Das bedeutet, dass die helfende Person Empathie und Geduld zeigen muss, um eine Atmosphäre der Sicherheit zu schaffen. Für die Betroffenen kann es hilfreich sein, kleine Schritte zu machen, anstatt sofort große Verpflichtungen einzugehen.


3. Therapie und Trauma-Arbeit


Trauma, Täterintrojekte und erlernte Hilflosigkeit erfordern oft professionelle Unterstützung. Traumatherapie, somatische Ansätze oder auch Coaching können dabei helfen, negative Muster aufzulösen und Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.


4. Kleine, erreichbare Ziele setzen


Gerade bei Energielosigkeit oder Depression hilft es, die Hürden niedrig zu setzen. Ein kleiner Erfolg – wie das Akzeptieren einer kleinen Unterstützung – kann das Selbstbewusstsein stärken und den Weg für größere Veränderungen ebnen.


5. Verantwortung und Selbstwirksamkeit stärken


Das Übernehmen von Verantwortung sollte nicht als Bürde, sondern als Möglichkeit zur Selbstermächtigung betrachtet werden. Dies kann durch Achtsamkeitspraktiken oder Coaching gestärkt werden, die helfen, die eigene Fähigkeit zur Veränderung zu erkennen.


6. Das „Warum“ finden


Wenn Menschen ein starkes „Warum“ haben – sei es die Gesundheit ihrer Kinder, ein lang gehegter Traum oder einfach die Aussicht auf ein erfüllteres Leben –, können sie sich leichter auf Hilfe einlassen. Hier hilft es, die eigenen Werte und Ziele zu reflektieren.


Fazit


Das Ablehnen von Hilfe, obwohl sie dringend benötigt wird, ist ein komplexes Verhalten, das oft in tiefen emotionalen Wunden und Überzeugungen wurzelt. Indem wir uns selbst oder anderen mit Geduld, Verständnis und Mitgefühl begegnen, können wir diese Muster erkennen und schrittweise verändern. Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke – und der erste Schritt auf dem Weg zu einem erfüllteren und freieren Leben.


Hier ein Interview dazu mit meiner Kollegin Vivian Suchomel zum Thema:



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