Wenn Führung triggert
- Manuel Schönthaler

- vor 13 Minuten
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Über Autorität, Prägung und die Chance auf heilsame Beziehung

Wenn Begriffe wie Autorität, Führung oder sich führen lassen innerlich Widerstand, Enge oder sogar Ärger auslösen, ist das kein Zufall. Für viele Menschen sind das keine neutralen Worte. Sie sind aufgeladen mit Erfahrungen, in denen Führung nicht Halt, sondern Kontrollverlust bedeutete. Nicht Orientierung, sondern Ohnmacht.
Diese Reaktion ist selten eine bewusste Entscheidung. Sie ist eine körperliche Erinnerung. Ein Nervensystem, das früh gelernt hat, dass Macht gefährlich sein kann, reagiert schneller, als der Verstand sortieren kann.
Autorität ist für viele kein sicherer Ort
In gesunden Beziehungen steht Autorität für Schutz, Klarheit und Verantwortung. Für viele Menschen war sie jedoch mit etwas völlig anderem verknüpft. Mit emotionalem Druck, subtiler Kontrolle, Beschämung oder offener Gewalt. Oft nicht einmal laut oder offensichtlich, sondern leise und dauerhaft wirksam.
Das Nervensystem merkt sich dabei keine Erklärungen, sondern Zustände.
Es lernt: "Wenn jemand führt, verliere ich mich."
Oder: "Wenn jemand mehr Macht hat, bin ich nicht sicher."
Später wird jede Form von Führung automatisch mit diesen alten Erfahrungen verknüpft – auch dann, wenn sie heute freiwillig gewählt ist.
Prägung durch Mutter und Vater: Wie Macht erlebt wurde
Unsere ersten Autoritätserfahrungen machen wir meist mit Mutter und Vater – unabhängig vom Geschlecht. Manche Menschen wuchsen mit emotional sehr dominanten Bezugspersonen auf, andere mit Strenge, Unberechenbarkeit oder Abwesenheit. Wieder andere erlebten körperliche oder psychische Gewalt.
Gemeinsam ist diesen Erfahrungen oft eines: Es gab wenig echte Wahl. Nähe war an Anpassung gebunden. Orientierung kam mit einem Preis.
So entstehen innere Überzeugungen wie:
"Ich darf mich nicht anlehnen, sonst verliere ich meine Autonomie."
"Ich muss ständig wachsam bleiben."
"Führung bedeutet Gefahr."
Diese Prägungen wirken später weiter – in Partnerschaften, in beruflichen Kontexten und besonders auch in therapeutischen Prozessen.
„Ich möchte begleitet werden, nicht geführt“ – was dahinter steckt
Der Wunsch, begleitet statt geführt zu werden, ist verständlich. Für viele ist er ein Schutzimpuls. Er signalisiert: "Ich will auf Augenhöhe bleiben. Ich will mich nicht wieder verlieren."
Problematisch wird es dort, wo jede Form von Führung innerlich als Grenzverletzung erlebt wird. Denn tiefe innere Arbeit braucht zeitweise Struktur und Orientierung von außen. Nicht, um Macht auszuüben, sondern um Sicherheit zu ermöglichen. Um einen Rahmen zu halten, in dem Verletzlichkeit überhaupt erst möglich wird.
Ohne diesen Halt bleibt man oft:
im Denken statt im Fühlen
in Kontrolle statt im Kontakt
oder in alten Abwehrmustern
Führung, Dominanz und Übergriff – ein wichtiger Unterschied
Ein zentraler Punkt in traumasensibler Aufklärung ist die Unterscheidung, die vielen Nervensystemen fehlt.
Dominanz bedeutet Macht über jemanden.
Übergriff bedeutet Grenzverletzung ohne Zustimmung.
Gesunde Führung ist transparent, zeitlich begrenzt und jederzeit widerrufbar.
Trauma wirft diese drei Dinge oft in einen Topf. Alles fühlt sich gleich bedrohlich an. Genau deshalb darf dieser Unterschied nicht nur verstanden, sondern neu erlebt werden – im Körper, im Kontakt, im sicheren Rahmen.
Autoritätssensibilität ist kein Zeichen von Schwäche
Viele autoritätssensible Menschen wirken nach außen reflektiert, kritisch und autonom. Innerlich sind sie häufig hochwachsam. Sie scannen Situationen permanent nach Anzeichen von Machtmissbrauch.
Das Nervensystem stellt nicht die Frage: "Ist diese Person kompetent?"
Sondern: "Bin ich hier sicher?"
Diese Wachsamkeit ist kein Makel. Sie ist eine Überlebensleistung. Gleichzeitig kann sie Beziehungen belasten, wenn sie jede Form von Führung oder Orientierung unmöglich macht.
Auswirkungen auf Partnerschaft und Beziehung
In Partnerschaften zeigt sich diese Prägung oft in wiederkehrenden Konflikten um Entscheidungen, Verantwortung und Nähe. Machtkämpfe, Rückzug oder ständige Abgrenzung sind keine Seltenheit. Gleichwertigkeit wird dann mit Gleichmacherei verwechselt.
Doch Beziehung braucht nicht permanente Symmetrie. Sie braucht Kontakt, Aushandlung und die Fähigkeit, sich zeitweise anlehnen zu können, ohne sich selbst zu verlieren.
Warum therapeutische Arbeit Führung braucht
In meiner Arbeit – etwa in der Selbstbegegnungsarbeit mit inneren Anteilen oder in der Fühlarbeit – geht es nicht darum, jemanden zu kontrollieren oder zu bestimmen. Es geht darum, einen sicheren Rahmen zu halten, Orientierung zu geben, wenn alte innere Programme anspringen, und dich darin zu unterstützen, dich verletzlich zu zeigen.
Dazu gehört auch, Fühlen zuzulassen, gewaltfreies Feedback zu geben und zu empfangen und innere Anteile kennenzulernen, die früher keine Stimme hatten. Für Menschen mit Autoritätssensibilität ist das herausfordernd. Und genau deshalb so wirksam.
Die eigentliche Einladung
Sich führen zu lassen bedeutet nicht, Macht abzugeben oder sich zu unterwerfen. Es bedeutet, bewusst zu wählen, wem man sich für einen bestimmten Prozess anvertraut. Es bedeutet, Grenzen wahrzunehmen, zu benennen und im Kontakt zu bleiben – auch dann, wenn es innerlich eng wird.
Heilung heißt nicht, nie wieder geführt zu werden.
Heilung heißt, heute wählen zu können.
Wenn dich dieser Text berührt oder herausfordert, dann bist du nicht zu sensibel. Du bist aufmerksam geworden für eine alte Prägung, die gesehen werden will. Und genau dort beginnt die Möglichkeit, Beziehungen heute anders zu gestalten – sicherer, ehrlicher und lebendiger.
Denn wenn Führung triggert, liegt es selten an der Führung selbst - sondern an der Wahrnehmung dazu. Diese kannst du in einer Traumabegleitung neu trainieren.



