Wenn Schweigen verletzt
- Manuel Schönthaler
- 2. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Warum wir über sexuellen Missbrauch sprechen müssen

Ein wachrüttelnder Impuls für mehr Sichtbarkeit, Mitgefühl und Heilung
Sexueller Missbrauch ist kein Einzelfall. Und auch kein Randthema. Es ist Realität – oft mitten unter uns, oft im Verborgenen. Die neueste Folge des #justfuckindoit Podcasts konfrontiert uns mit dieser Realität. Schonungslos ehrlich. Tief berührend. Und bitter notwendig.
In einem intensiven und bewegenden Gespräch spricht eine Frau, die aus Gründen des Opferschutzes gerne anonym bleiben möchte, über ihren Weg durch sexualisierte Gewalt – und über das lange Schweigen, das danach kam. Was sie erzählt, ist nicht nur eine persönliche Geschichte. Es ist ein Spiegel für viele, die ähnliches erlebt haben, aber keine Worte dafür finden. Ihre Kindheit war geprägt von psychischer, emotionaler und schließlich auch sexueller Gewalt – nicht durch ihre leibliche Familie, sondern durch eine andere, in der sie aufwuchs. Dort wurde sie zur „Dienenden“ gemacht, zur Projektionsfläche, zur Stillen, zur Angepassten. Das Ausmaß der Übergriffe war ihr selbst lange gar nicht bewusst.
Erst im Jahr 2015, durch einen erneuten Übergriff als Erwachsene – diesmal durch ihren Hausmeister – kamen verdrängte Erinnerungen an die Oberfläche. Nichts hatte sie auf diesen Moment vorbereitet. Kein Vorzeichen, keine Warnung. Es war ein massiver Kontrollverlust in einer scheinbar harmlosen Alltagssituation – und damit doppelt traumatisierend. Denn der Täter war kein Fremder, sondern jemand, dem sie vertraute. Genau das machte das Erlebte so zerstörerisch. Diese Nacht riss sie zurück in die Sprachlosigkeit ihrer Kindheit. Ihre Welt zerbrach. Und mit ihr der letzte Rest innerer Sicherheit.
Sie erzählt, wie sie in den Monaten danach funktionierte wie eine Maschine: außen stark, innen leer. Schlaflos, ängstlich, mit körperlichen Symptomen, die niemand verstand. Die Arbeit wurde zur Flucht, der Rückzug zur Tarnung. Über zwei Jahre lang konnte sie kein einziges Wort über das Erlebte sprechen. Zu groß die Scham, zu tief der Ekel, zu mächtig das Gefühl, „falsch“ zu sein. Erst viel später wurde ihr klar: all das war eine natürliche Reaktion auf etwas Unnatürliches. Auf Gewalt, die nie hätte geschehen dürfen.
Diese Podcastfolge ist unbequem – und genau deshalb so wichtig. Denn sie zeigt nicht nur, was sexueller Missbrauch anrichtet, sondern auch, wie leise und perfide er sich in unser Leben schleicht. Und wie schwer es ist, ihn zu erkennen – selbst für die, die ihn erlebt haben.
Nicht nur das, was „passiert“ – auch das, was nicht gesehen wurde
Die Frau, die in dieser Folge zu Wort kommt, hat sexualisierte Gewalt in ihrer Kindheit erlebt – nicht durch ihre leibliche Familie, sondern durch Menschen, die in ihrem Umfeld als “normal” galten. Als der Missbrauch Jahre später durch einen erneuten Übergriff wieder an die Oberfläche kam, war da kein klarer Gedanke. Nur Dunkelheit. Sprachlosigkeit. Ein Gefühl der inneren Trennung. Zwei Jahre lang konnte sie nicht darüber sprechen.
Solche Geschichten sind keine Ausnahme. Sie sind Teil unserer kollektiven Verdrängung – in Familien, in Systemen, in der Gesellschaft. Viele Betroffene tragen ihre Erfahrungen wortlos mit sich, oft jahrzehntelang. Ob durch Übergriffe, emotionale Grenzverletzungen oder subtile Gewalt – das Trauma sitzt im Körper, auch wenn der Kopf längst vergessen will.
Täter sind oft keine Fremden
Was die Betroffene schildert, ist für viele ein Schock: der Täter, der den alten Missbrauch erneut auslöste, war kein Fremder. Kein “Monster”. Sondern jemand, dem sie vertraut hatte – ein Nachbar, ein Hausmeister. Gerade diese Nähe macht den Missbrauch oft so zerstörerisch. Denn sie raubt nicht nur körperliche Unversehrtheit, sondern auch das Urvertrauen.
Diese Podcastfolge zeigt in aller Deutlichkeit: TäterInnen agieren nicht im luftleeren Raum. Sie bewegen sich in Machtstrukturen, in Rollen, in vermeintlicher Harmlosigkeit. Und solange wir schweigen, behalten sie diese Macht.
Heilung ist möglich – aber sie beginnt mit einem Schritt nach innen
Was mich als Coach und Traumaheiler besonders berührt: die Frau beschreibt, wie ihr Körper, ihre Psyche, ihr ganzes Wesen versucht haben, das Geschehene zu überleben. Und wie sie sich heute – Schritt für Schritt – selbst wieder näherkommt. Durch das Wahrnehmen von Körperempfindungen. Durch Musik, Düfte, Bewegung. Durch ehrlichen Kontakt mit sich selbst.
In meiner eigenen Arbeit mit der ICH-Arbeit (Inner Constellation Healing, angelehnt an die IoPT nach Franz Ruppert) begleite ich Menschen genau durch diesen Prozess: vom inneren Überleben ins lebendige Spüren. Wir geben der Sprachlosigkeit eine Stimme. Der Ohnmacht eine Form. Der Wut Raum. Ohne Druck, ohne Ziel – aber mit der tiefen Überzeugung, dass sich etwas wandeln kann, wenn es endlich gesehen wird.
Und ja, oft ist der erste Schritt nicht das große „Darüber reden“, sondern ein stilles Erkennen:
“Es war nicht deine Schuld.”
“Du hast überlebt.”
“Du darfst heute andere Entscheidungen treffen.”
Warum wir aufhören müssen zu schweigen
Diese Folge ist nicht nur eine persönliche Geschichte. Sie ist ein Aufruf. Denn solange wir über sexualisierte Gewalt nicht sprechen, bleibt sie in dunklen Räumen – dort, wo TäterInnen weiterhin Macht haben.
Und: viele Menschen wissen nicht, dass auch sie betroffen sind. Denn sexualisierte Traumata können viele Gesichter haben:
medizinische Eingriffe ohne Einwilligung,
demütigende Geburtserfahrungen,
emotionale oder körperliche Übergriffe,
„kleine“ Grenzverletzungen, die tiefe Spuren hinterlassen.
Vielleicht spürst du, während du das liest, ein Ziehen im Bauch, ein Flattern im Herzen, einen Kloß im Hals. Vielleicht erinnert dich etwas. Vielleicht bist du betroffen – ohne es bisher benennen zu können.
Dann ist dieser Artikel "Wenn Schweigen verletzt" genau für dich.
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Du musst nichts erklären. Du musst nichts „liefern“. Nur den Raum für dich selbst öffnen.
Ich begleite Menschen wie dich – mit Achtung, Klarheit und dem Wissen, wie viel Kraft es braucht, dort überhaupt hinzuschauen.
Du bist nicht allein. Und du musst nicht stark sein, um gehört zu werden.
📩 Kontakt & mehr zu meiner Arbeit findest du auf meiner Webseite
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